Goldschmied: Mehr als nur Handwerk – eine Liebeserklärung an das alte Gold

# Goldschmied: Mehr als nur Handwerk – eine Liebeserklärung an das alte Gold

> *„Gold ist nicht nur glänzend, es erzählt Geschichten.“*
> – Ein Satz, den mir mein ehemaliger Lehrling neulich beim Kaffeekränzchen zuflüsterte, während wir über alte Werkzeuge schnackten.

Es ist kurz nach acht an einem verregneten Montag in der Hamburger Speicherstadt. Ich sitze in meinem kleinen Atelier, die Kaffeetasse dampft neben der Feile, und draußen klatscht der Regen gegen die Klinker. Genau in solchen Momenten frage ich mich: Was bedeutet *Goldschmied* eigentlich heute noch? Ist es bloß ein Beruf – oder lebt da mehr zwischen den Drahtresten und polierten Fingernägeln?

## Die Seele hinter dem Hammer

Als ich vor über zwanzig Jahren meine Lehrzeit begann, war „Goldschmied“ noch ein Titel mit Gravur. Mein Meister, ein stämmiger Berliner mit Schnauzbart und einer Stimme wie Schmirgelpapier, pflegte zu sagen:
> *„Jeder Schlag aufs Metall sitzt auch auf deinem Herzen.“*

Damals verstand ich das als romantische Floskel. Heute weiß ich: Er meinte die Verantwortung. Ein Goldschmied ist kein einfacher Juwelier, der Fertigwaren in den Schaukasten stellt. Er ist Erzähler, Mechaniker, Archäologe und Psychologe in einem. Der Kunde bringt nicht nur Geld mit, sondern auch eine Geschichte: eine vererbte Brosche, einen Antrag, einen Neuanfang nach einer Scheidung. Unser Job ist es, diese Geschichten in Gold zu bannen – ohne dass das Material an Substanz verliert und ohne dass die Seele des Gegenstands zerbröckelt.

## Zahlen, die glänzen (und die nicht ins Gewicht fallen)

Laut dem *Zentralverband des Deutschen Handwerks* gibt es in Deutschland aktuell rund **1.850** klassische Goldschmiede, Tendenz leicht sinkend. Das klingt nach Nische – und genau das ist es auch. Aber schauen wir genauer hin:

- **78 %** der Betriebe sind kleine Meisterwerkstätten mit maximal drei Gesellen.
- **63 %** der Ausbildungsplätze werden laut der Handwerkskammer Hamburg nicht besetzt, weil sich zu wenige Jugendliche für die vierjährige Ausbildung interessieren.
- Der durchschnittliche Goldschmied ist **47 Jahre alt** – wir werden also langsam, aber sicher, zu Silberlocken im eigentlichen Sinne.

Warum das wichtig ist? Weil jeder verlorene Meister ein Stück Tradition mitnimmt. Die Technik, eine filigrane Krone ohne Löcher zu schließen, das Auge für die richtige Legierung, das Gespür für Spannung im Metall – das lernt man nicht über YouTube.

## Meisterwerke zwischen Dreck und Diamanten

Letzten Monat saß Frau K., Anfang 70, Stock im Schneidersitz, in meinem Laden. Sie öffnete ein zerquetschtes Tuch – darin ein zerbrochener Ehering.
> *„Mein Mann hat ihn nie abgenommen, nicht mal beim Rasieren. Jetzt ist er weg, und der Ring ist kaputt.“*

Ich habe den Ring nicht repariert. Stattdessen habe ich das zerbrochene Stück in einen neuen Rahmen gefasst – einen Wellenschliff, der die Bruchstelle wie einen Fluss durchzieht. Als ich ihr das Ergebnis zeigte, weinte sie nicht. Sie lächelte.
> *„Jetzt trage ich ihn auf meine Art weiter.“*

Solche Momente sind kein Einzelfall. Laut einer kleinen Umfrage, die ich unter meinen Kolunden durchgeführt habe, kommen **54 %** der Aufträge mit einer emotionalen Geschichte daher – Erbschaft, Hochzeit, Verlust. Goldschmiede sind also auch Therapeuten mit Feile.

## Trends, die nicht im Trend liegen

Natürlich gibt es auch die anderen Tage: Die Influencerin, die ein „Statement Piece“ will, das auf Instagram knallt, aber keine Ahnung hat, warum Gelbgold 585 härter ist als 750. Oder der Start-up-Gründer, der seine Manschettenknöpfe mit Bitcoin-Logo gravieren lassen möchte.

Aber selbst hier steckt eine Lektion: Der moderne Goldschmied muss flexibel sein. **3D-Druck** für Modelle? Nutzen wir. **Fairtrade-Gold**? Seit 2019 in meiner Werkstatt Standard. **Lasergravur**? Klar – aber nur, wenn das Motiv es verdient. Das Handwerk lebt nicht trotz der Moderne, sondern mit ihr.

## Was du als Kunde wissen solltest (ohne erhobenen Zeigefinger)

- **Preise**: Ein handgefertigter Ehering kostet zwischen 800 und 3.000 Euro – je nachdem, ob du ein einfaches Band oder eine filigrane Granulation willst. Materialkosten sind dabei oft der kleinste Posten.
- **Zeit**: Gute Arbeit braucht drei bis sechs Wochen. Wer „schnell mal“ einen Ring will, sollte zum Juwelier gehen, nicht zum Schmied.
- **Pflege**: Gold ist weich. Ab und zu mit lauwarmem Wasser und einer weichen Zahnbürste reinigen – mehr nicht. Chemische Reiniger sind für Silber, nicht für dein Herzstück.

## Der Blick nach vorn (und zurück)

Wenn ich heute Abend die Werkstatt abschließe, liegt ein halbfertiger Anhänger auf der Bank. Ein kleiner Kreis, darin eine eingravierte Linie – die Umrisskarte von Sylt, wo meine Kundin ihren ersten Urlaub mit der Tochter verbracht hat. Es ist kein Meisterwerk für Museen, aber ein Meisterstück für zwei Menschen.

Und vielleicht ist das der Kern: Goldschmiede sind keine Fabrikanten für Luxus. Wir sind Chronisten aus Metall. Jeder Schweißtropfen auf der Stirn, jedes verzogene Blech, das wir wieder grade biegen, ist ein Kapitel in jemandem Leben.

Wenn du also das nächste Mal an einem Schaukasten vorbeigehst und einen glänzenden Ring siehst, denk einen Moment länger nach. Vielleicht war da jemand wie ich – mit schmutzigen Fingern, aber einem sauberen Herzen – und hat aus einem Stück Erz und einem Stück Geschichte etwas gemacht, das länger hält als wir alle.

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*PS: Falls du selbst ein altes Schmuckstück hast, das nur auf seine zweite Geschichte wartet – ich hab immer Kaffee da. Komm vorbei, wir schauen uns das gemeinsam an. Kein Termin nötig, nur ein bisschen Zeit und ein offenes Ohr.*
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